16.1 Einleitung
Genauso wie bei anderen psychischen Störungen sind bei der Entstehung und Aufrechthaltung einer Alkoholabhängigkeit verschiedene Faktoren beteiligt, die in unterschiedlichen Phasen der Erkrankung eine Rolle spielen.
Nachfolgend ist die hypothetische Entstehung einer Alkoholkonsumstörung skizziert (Brecklinghaus, 2013):
- Voralkoholische Phase
- In der voralkoholische Phase entdeckt der Konsument, dass Alkohol eine entspannende, beruhigende und erleichternde Wirkung hat. Alkohol wird daraufhin zunehmend häufiger mit dem Ziel getrunken, diese angenehme Wirkung zu spüren. In dieser Phase wird das Konsumverhalten auch durch die Verfügbarkeit und den Umgang mit dem Konsum in der Gesellschaft (z. B. für die Sportmannschaft gibt es Siegerbier oder Verliererbier; bei Feiern wird Sekt ausgeschenkt) beeinflusst.
- Wer kann dem widerstehen? Das Charakteristische dieser Phase ist, dass dem Alkoholkonsum eine bestimmte psychische Funktion zukommt. Alkohol wird eingesetzt, um das seelische Befinden positiv zu beeinflussen. Das Erleichterungstrinken hat begonnen. Problematisch daran ist, dass andere Möglichkeiten, das seelische Befinden positiv zu beeinflussen, mit zunehmendem Einsatz von Alkohol vernachlässigt und schließlich sogar verlernt werden. Sich Erleichterung durch Alkohol zu verschaffen ist weniger anstrengend als andere Möglichkeiten, sich ein gutes Gefühl zu verschaffen.
- Anfangsphase
- In der Anfangsphase kommt es zu ersten Schwierigkeiten, mit dem Trinken aufzuhören. Der Konsument denkt immer häufiger an Alkohol, indem er z. B. überlegt, wie weit der Alkoholvorrat zu Hause noch reicht oder wann sich die nächste Gelegenheit zum Trinken ergibt. Er vermeidet Gespräche über Alkohol und trinkt vielleicht auch heimlich. Das Charakteristische dieser Phase ist, dass der Betroffene gefühlsmäßig meist schon selber merkt, dass mit seinem Trinkverhalten etwas nicht in Ordnung ist. Zugleich möchte er aber an seinem Trinkverhalten nichts verändern, weil das Trinken angenehm ist. Aus diesem Widerspruch entstehen Schuldgefühle. Die Schuldgefühle werden bekämpft – mit Alkohol. Wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt, sind die Schuldgefühle wieder da, und stärker als zuvor. Die Schuldgefühle werden bekämpft – mit noch mehr Alkohol. Der Teufelskreis hat begonnen.
- Der Körper gewöhnt sich an den Alkohol, die Toleranzentwicklung setzt ein („Der kann aber was vertragen!“). Der Körper braucht immer mehr, damit die gleiche Wirkung erzielt wird, oder besser, noch eine größere Wirkung, weil das Leben im nüchternen Zustand so schwer zu ertragen ist. Und so viel trinke ich ja auch nicht, und alle anderen trinken auch, sogar noch mehr als ich, und was ich heimlich trinke, das zählt nicht. Hauptsache, ich falle nicht auf. Anstatt sich den Ursachen der Schuldgefühle kritisch zu stellen, vermeidet der Betroffene eine Konfrontation und Auseinandersetzung. Er geht den Weg des geringsten Widerstandes und rechtfertigt dies vor sich und anderen, indem er seinen Konsum verharmlost und beschönigt. Tragisch daran ist, dass er hierdurch die Abhängigkeitsentwicklung fortsetzt. Der Teufelskreis geht weiter.
- Kritische Phase
- In der kritischen Phase schreitet die Abhängigkeit weiter voran und erreicht ihre volle Ausprägung durch zunehmende Kontrollminderung bis hin zum Kontrollverlust (“binge drinking”), oft einhergehend mit körperlichen Entzugssymptomen. Die Betroffenen versuchen noch lange ihr eigenes Selbstbild vom Nicht-abhängig-Sein aufrecht zu erhalten, indem sie ihre Situation mit vordergründigen Erklärungen rechtfertigen oder indem sie verschiedene „Trinksysteme“ ausprobieren (z.B. „ich trinke nur am Wochen-ende” oder „ich trinke erst ab 18 Uhr“ oder „ich trinke nur Bier, keinen Schnaps“). Zugleich häufen sich die alkoholbedingten Folgeprobleme, wie Streit in der Familie, nicht eingehaltene Versprechungen, Unzuverlässigkeit, Leistungsminderung am Arbeitsplatz. Der Betroffene verliert zunehmend das Interesse an seiner Umwelt, zieht sich meist selbstmitleidig zurück, fühlt sich von keinem mehr verstanden und baut eine feindlich-aggressive Haltung auf, insbesondere denen gegenüber, die das inzwischen offensichtlich gewordene Alkoholproblem ansprechen. Das Charakteristische dieser Phase ist das Fortschreiten der Entwicklung durch die anhaltenden Pseudoerklärungen und das Nicht-wahrhaben-Wollen der krankhaften Natur des Prozesses. Für Außenstehende ist es häufig kaum zu verstehen und zu ertragen, dass die Krankhaftigkeit der Entwicklung für sie schon längst deutlich zu erkennen ist, während der Betroffene selbst dies noch immer nicht wahrhaben will. Und solange der Betroffene selbst nicht einsieht, dass er krank ist, geht es weiter, immer weiter. Hinzukommt auch noch, dass durch das fortgesetzte Trinken aversive Entzugserscheinungen vermieden werden.
- Chronische Phase
- Die chronische Phase ist schließlich gekennzeichnet durch massive körperlich-seelische und soziale Folgeschäden, durch Vernachlässigung von Körper und Gesundheit, durch körperlich-seelische Zusammenbrüche, Klinikeinweisungen, Suizidversuche und Zwangseinweisungen. Die letzte Phase macht deutlich, dass die Alkoholabhängigkeit eine lebensbedrohliche und lebens-verkürzende Erkrankung ist. Angesichts dieser Endstation ist es nicht falsch, die Alkoholabhängigkeit als „Suizid auf Raten“ zu bezeichnen.
aus: Brecklinghaus (2013)
Die vorausgehende Beschreibung eines hypothetischen Verlaufs läßt erkennen, wann und wie neurobiologische, psychologische und soziale Faktoren einen Einfluss auf den Alkoholkonsums und dessen Entgleisung haben. Erkennbar ist auch, dass bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Akoholkonsumstörung die spezifische Wirkung der Droge (z. B. Abhängigkeitspotenzial, Verfügbarkeit), Eigenschaften der konsumierenden Person (z. B. biologische und psychische Faktoren) und Umweltfaktoren (z. B. Familie, soziokulturelle Faktoren) interagieren (siehe Abbildung 16.1).
Die in Abbildung 16.1 aufgeführten Faktoren sind für das Suchtgeschehen entscheiden und sind letztlich Bestandteil des Teufelskreises der Sucht (Abbildung 16.2).
Die Abbildung 16.2 stammt aus dem Übersichtsartikel von Lindenmeyer (2021) und wurde ursprünglich von Küfner (1981) vorgeschlagen.
16.2 Neurobiologische Aspekte
Eine Alkoholkonsumstörung ist gekennzeichnet durch den Verlust der Kontrolle über den Alkoholkonsum. Aus Sicht der Neurobiologie, beeinflusst der Alkoholkonsum die Aktivität bestimmter Gehirnregionen (z. B. das Mittelhirn, das limbische System, der präfrontale Kortex und die Amygdala), die an der Ausführung motivierter Verhaltensweisen und der Kontrolle von Stress und Emotionalität beteiligt sind.
Mechanismen der positiven und negativen Verstärkung (d.h. direkte und indirekte Belohnung) bestimmen das individuelle Konsumverhalten. Positive Verstärkung (belohnender Effekte des Alkohols) und/oder negative Verstärkungsmechanismen (aversive affektive Zustände, die durch Alkoholkonsum gelindert werden) erhöhen die Auftretenswahrscheinlichkeit des Konsums.
Auf der Ebene der Neurotransmitter werden die positiven Verstärkungseffekte von Alkohol hauptsächlich durch Dopamin, Opioidpeptide, Serotonin, GABA und Endocannabinoide vermittelt. Negative Verstärkungen führen zu einer erhöhten Rekrutierung von Corticotropin-Releasing-Faktor und glutamatergen Systemen und eine Herunterregulierung der GABA-Übertragung.
Der langfristige Konsum von Alkohol verursacht adaptive Veränderungen bei verschiedenen Neurotransmittern, darunter GABA, Glutamat und Noradrenalin, neben vielen anderen. Als einer der wichtigsten hemmenden Neurotransmitter spielt GABA eine Schlüsselrolle bei neurochemischen Mechanismen, die bei Rausch, Toleranz und und Entzug beteiligt sind (siehe für weitere Details Koob & Volkow, 2016).
In Abbildung 16.3 ist der ätiologische, theoriebasierte, ontogenetische hierarchische Rahmen (ETOH-Modell) der Alkoholkonsumstörungen abgebildet (Boness et al., 2021).
Diese Abbildung stellt den ETOH-Rahmen bildlich dar, der als Ergebnis einer systematischen Überprüfung von Berichten über die Ätiologie von Alkoholkonsumstörungen erstellt wurde (Boness et al., 2021). Die gestrichelten Linien zeigen mögliche Überschneidungen zwischen den kognitiven Prozessen, die als kritisch für die Entstehung und Aufrechthaltung einer Alkoholkonsumstörung angesehen werde. Die Effekte der negativen und positiven Verstärkung werden beispielsweise über das Belohnungssystem vermittelt.
Weitere Informationen zur Neurobiologie der Sucht finden Sie in den Vorlesungsfolien.
16.3 Psycho-soziale Aspekte
Risikofaktoren
Risikofaktoren sind Eigenschaften, welche die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Menschen Problemverhalten zeigen. Je stärker ausgeprägt und je zahlreicher diese Risikofaktoren kumuliert auftreten, desto höher ist die Gefährdung. Risikofaktoren können in der Gesellschaft, in der Gemeinde, in der Schule, in der Familie, bei den Peers oder der Person selbst liegen. Dazu gehören unter anderem:
- Leichte Erhältlichkeit von Substanzen
- geringer sozialer Zusammenhalt, mangelnde soziale Kontrolle
- eine ungünstige soziale Ausgangslage (dysfunktionale Familien, Suchtproblematik in der Familie)
- desorganisierte Schule, unklare Normen
- Fehlen einer tragfähigen Bindung zu den Eltern
- Schulversagen
- Geringe Impulskontrolle, mangelnde soziale, kognitive und emotionale Kompetenzen
- Frühe Auffälligkeiten und Problemverhalten
- Genetische Risikofaktoren
- Missbrauchs- und Gewalterfahrungen
Schutzfaktoren
Schutzfaktoren tragen zur Verbesserung und zum Erhalt von Wohlbefinden und Lebensqualität bei, indem sie die Wirkung von Risikofaktoren vermindern (Puffereffekt). Sie sind jedoch nicht nur in Abhängigkeit von den Risikofaktoren zu betrachten, sondern fördern auch in Abwesenheit derselben das Wohlbefinden. Nicht alle Risiko- und Schutzfaktoren können allerdings in gleichem Masse beeinflusst werden. So sind zum Beispiel Persönlichkeitseigenschaften nur schwierig veränderbar. Die Schutzfaktoren “warme emotionale Bindung zu den Eltern” und “kohärenter Erziehungsstil” können aber durchaus im Fokus einer Präventionsmassnahme stehen. Schutzfaktoren sind auf den Ebenen Gesellschaft, Gemeinde, Schule, Familie, Peers und Person vorhanden.
Dazu gehören u.a.:
- Möglichkeit an Teilhabe und Integration in der Gesellschaft und in den Gemeinde (Bildung, Arbeit, Einkommen)
- positive Werte und Normen und deren Umsetzung
- positives Schulklima, kohärente Werte und Normen
- stabile, gute Bindungen zu den Eltern
- konsistenter Erziehungsstil
16.3.1 Soziale Faktoren und Umwelt
Soziale Faktoren beziehen sich auf externe Einflüsse und Beziehungen, die in sozialen Strukturen und Interaktionen verwurzelt sind und das Verhalten, die Einstellungen und die Entwicklung einer Person beeinflussen können. Im Kontext der Alkoholkonsumstörung können soziale Faktoren verschiedene Aspekte umfassen:
- Soziales Umfeld: Die Menschen, mit denen jemand Zeit verbringt, wie Familie, Freunde, Kollegen und die Gemeinschaft, können erheblichen Einfluss auf das Trinkverhalten haben.
- Normen und Erwartungen: Die sozialen Normen und Erwartungen bezüglich des Alkoholkonsums in einer bestimmten Kultur oder Gruppe können beeinflussen, wie viel und wie oft jemand trinkt.
- Soziale Unterstützung: Das Vorhandensein oder Fehlen einer unterstützenden sozialen Struktur kann die Fähigkeit einer Person beeinflussen, mit Stress umzugehen, was wiederum das Risiko für Alkoholkonsumstörungen beeinflussen kann.
- Peer-Druck: Der Einfluss von Gleichaltrigen oder Peers kann eine wichtige Rolle spielen. Wenn es in der Peer-Gruppe akzeptiert oder sogar gefördert wird, viel zu trinken, kann dies das eigene Trinkverhalten beeinflussen.
Der Begriff “Umwelt” bezieht sich auf die Gesamtheit der äußeren Faktoren und Bedingungen, die das Leben einer Person beeinflussen. Im Kontext der Alkoholkonsumstörung umfasst die Umwelt verschiedene Aspekte:
- Familiäre Umwelt: Die familiäre Umwelt, einschließlich der Beziehungen zu Eltern, Geschwistern und anderen Familienmitgliedern, kann eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Alkoholkonsumstörungen spielen.
- Arbeitsumfeld: Stress am Arbeitsplatz, beruflicher Druck oder berufliche Anforderungen können das Trinkverhalten beeinflussen.
- Sozioökonomischer Status: Der sozioökonomische Status, einschließlich Bildung, Einkommen und Beschäftigungsstatus, kann die Verfügbarkeit von Ressourcen und den Zugang zu Unterstützungsdiensten beeinflussen.
- Gesellschaftliche Einflüsse: Größere gesellschaftliche Faktoren wie kulturelle Einstellungen zum Alkoholkonsum, gesetzliche Regelungen und die Verfügbarkeit von Alkohol können die Prävalenz von Alkoholkonsumstörungen in einer Gemeinschaft beeinflussen.
- Stress und Trauma: Umweltbedingte Stressoren und traumatische Ereignisse können das Risiko für Alkoholkonsumstörungen erhöhen, da Menschen möglicherweise versuchen, mit belastenden Erfahrungen umzugehen.
Das Zusammenspiel der sozialen und Umweltfaktoren ist in Abbildung 16.4 dargestellt, die aus dem Kapitel von Soyka & Küfner (2008) stammt.
In Abbildung 16.4 sind die sozialen und Umweltfaktoren in den grauen Rechtecken abgebildet. Psychologische Mechanismen und Faktoren sind blau unterlegt. Entscheidend bei diesem Modell ist, wie die Wahrnehmung der sozialen und Umweltfaktoren durch die Person erfolgt. Eine Erfahrung wird beispielsweise nur dann zu einer traumatischen Erfahrung, wenn diese von der betroffenen Person auch als traumatisch bewertet wird.
16.3.2 Psychologische Faktoren
Psychologische Modelle fokussieren auf die psychischen Vorgänge und Prozesse (z. B. Regulation aversiver Emotionen, soziale Ängste, fehlende soziale Kompetenzen, Persönlichkeitsmerkmale), die an der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Alkoholkonsumstörung beteiligt sind. Anhand dieser Modelle wird aber auch versucht zu erklären, warum es zu Rückfällen kommt und Patienten wieder auf die “Rückfallstraße” gelangen.
Kognitiv-behaviorale Modell des Rückfallprozesses
Das kognitiv-behaviorale Modell des Rückfallprozesses wurde von Marlatt & Gordon (1985) entwickelt (Abbildung 16.5). Die beiden Autoren gehen davon aus, dass Hochrisikosituationen und die Reaktion des Trinkers auf diese Situationen eine zentrale Rolle beim Rückfall spielen. Menschen mit wirksamen Bewältigungsstrategien sind zuversichtlich, dass sie die Situation meistern können (d. h. erhöhte Selbstwirksamkeit), wodurch die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls verringert wird.
Umgekehrt erleben Menschen mit ineffektiven Bewältigungsstrategien eine geringere Selbstwirksamkeit, die zusammen mit der Erwartung, dass der Alkoholkonsum eine positive Wirkung hat (d. h. positive Ergebniserwartungen), zu einem ersten Rückfall führen kann. Dieser Ausrutscher kann wiederum zu Schuldgefühlen und Versagen führen (d. h. ein Abstinenzverletzungseffekt). Der Abstinenzverletzungseffekt kann zusammen mit positiven Ergebniserwartungen die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls erhöhen.
Das kognitiv-behaviorale Modell des Rückfalls bietet einen Rahmen für das Verständnis der Prozesse, die zum Wiederauftreten von Suchtverhalten beitragen. Nachfolgend sind die wichtigsten Bestandteile des kognitiv-behavioralen Modells des Rückfalls aufgeführt und erläutert:
- Abstinenzverletzungseffekt (AVE): Das Modell beginnt mit dem Konzept des Abstinenzverletzungseffekts, der sich auf die emotionalen und kognitiven Reaktionen einer Person bezieht, wenn sie eine Verletzung ihrer Abstinenz- oder Nüchternheitsziele wahrnimmt. Dies kann zu Schuldgefühlen, Scham und einem Gefühl des Versagens führen.
- Kognitive Prozesse: Das Modell betont die Rolle kognitiver Prozesse im Rückfallprozess. Zu den spezifischen kognitiven Prozessen gehören:
- Attribution: Die Art und Weise, wie der Einzelne die Verletzung der Abstinenz zuschreibt, kann seine emotionale Reaktion beeinflussen. Die Zuschreibung des Rückfalls an innere und stabile Faktoren (z. B. “Ich bin ein Versager”) im Gegensatz zu äußeren und veränderlichen Faktoren (z. B. “Ich hatte einen momentanen Ausrutscher”) kann sich auf das zukünftige Verhalten auswirken.
- Ergebniserwartungen: Überzeugungen über die erwarteten Ergebnisse des Substanzkonsums spielen eine entscheidende Rolle. Wenn eine Person positive Ergebnisse (z. B. Stressabbau) vom Substanzkonsum erwartet, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls.
- Rückfall-Selbstwirksamkeit: Das Vertrauen des Einzelnen in seine Fähigkeit, dem Substanzkonsum in Hochrisikosituationen zu widerstehen. Eine geringere Selbstwirksamkeit ist mit einem höheren Rückfallrisiko verbunden.
- Soziale Faktoren: Das Modell weist auch auf den Einfluss sozialer Faktoren auf den Rückfall hin.
- Soziale und umweltbedingte Anreize: Situationen, Orte oder Personen, die mit dem Substanzkonsum in Verbindung gebracht werden, können ein Verlangen auslösen und das Risiko eines Rückfalls erhöhen.
- Soziale Unterstützung: Das Vorhandensein unterstützender sozialer Netze kann als Schutzfaktor gegen einen Rückfall wirken, während ein Mangel an Unterstützung oder das Ausgesetztsein gegenüber negativen Einflüssen die Anfälligkeit erhöhen kann.
- Bewältigungsfähigkeiten und -strategien: Wirksame Bewältigungsfähigkeiten und -strategien sind für die Rückfallprävention von entscheidender Bedeutung. Das Modell betont, wie wichtig es ist, dem Einzelnen anpassungsfähige Bewältigungsmechanismen beizubringen, damit er mit Hochrisikosituationen umgehen kann, ohne zur Droge zu greifen.
- Der Rückfallprozess: Marlatt und Gordon beschreiben den Rückfallprozess als eine dynamische Abfolge von Ereignissen, die das Zusammenspiel von kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Faktoren beinhaltet. Der Prozess umfasst in der Regel die folgenden Phasen:
- Hochrisikosituationen: Bestimmte Situationen erhöhen das Risiko eines Rückfalls, z. B. Stress, negative Gefühle oder Hinweise, die mit dem Drogenkonsum in Verbindung stehen.
- Bewältigungsreaktion: Der Einzelne wendet als Reaktion auf Hochrisikosituationen Bewältigungsstrategien an. Eine wirksame Bewältigung verringert das Rückfallrisiko, während eine unangepasste Bewältigung zu einem Rückfall beitragen kann.
- Ergebnis der Bewältigungsreaktion: Der Erfolg oder Misserfolg der Bewältigungsreaktion beeinflusst die nachfolgenden kognitiven und emotionalen Reaktionen und wirkt sich auf die Wahrscheinlichkeit einer fortgesetzten Abstinenz oder eines Rückfalls aus.
- Rückfallpräventionsstrategien: Das Modell weist auf die Notwendigkeit der Entwicklung und Umsetzung von Strategien zur Rückfallprävention hin, einschließlich Kompetenztraining, Identifizierung von Hochrisikosituationen, Verbesserung der Bewältigungsfähigkeiten und Veränderung von kognitiven Verzerrungen im Zusammenhang mit Rückfällen.
- Langfristige Aufrechterhaltung: Wichtigstes Ziel ist es, durch kontinuierliche kognitiv-behaviorale Interventionen, soziale Unterstützung und Verbesserung der Bewältigungsfähigkeiten eine langfristige Abstinenz zu erreichen und zu erhalten.
Das kognitiv-behaviorale Modell des Rückfalls hat die Gestaltung von Rückfallpräventionsprogrammen und therapeutischen Maßnahmen für Personen mit Substanzkonsumstörungen maßgeblich beeinflusst. Es betont den dynamischen und zyklischen Charakter des Rückfallprozesses und unterstreicht die Bedeutung der Berücksichtigung kognitiver und verhaltensbezogener Faktoren zur Förderung einer dauerhaften Genesung.
16.4 Verständnisfragen
- Welche genetischen Faktoren spielen eine Rolle bei der Entstehung einer Alkoholabhängigkeit, und wie interagieren sie mit Umweltfaktoren?
- Wie tragen neurobiologische Mechanismen (z. B. Dopamin-, GABA- und Glutamat-Systeme) zur Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit bei?
- Welche Rolle spielt die Toleranzentwicklung auf neurophysiologischer Ebene bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Alkoholabhängigkeit?
- Wie beeinflussen psychische Störungen (z. B. Depression, Angststörungen) das Risiko, eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln?
- Welche Rolle spielt das Belohnungssystem im Gehirn bei der Entstehung von Craving und Suchtverhalten?
- Wie tragen Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Impulsivität, Risikobereitschaft) zur Ätiologie der Alkoholabhängigkeit bei?
- Welchen Einfluss haben soziokulturelle Faktoren (z. B. gesellschaftliche Normen, Verfügbarkeit von Alkohol) auf die Entstehung einer Alkoholabhängigkeit?
- Wie wirken sich frühe traumatische Erfahrungen (z. B. Kindheitstraumata) auf das Risiko aus, im späteren Leben eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln?
- Welche Rolle spielt das familiäre Umfeld (z. B. Eltern mit Alkoholproblemen) bei der Ätiologie der Alkoholabhängigkeit?
- Wie verändert sich das Risiko, eine Alkoholabhängigkeit zu entwickeln, im Laufe des Lebens (z. B. Adoleszenz vs. Erwachsenenalter)?
- Welche Rolle spielt der Erstkonsum von Alkohol (z. B. Alter bei der ersten Intoxikation) für die spätere Entwicklung einer Abhängigkeit?
- Was versteht man unter einer Co-Abhängigkeit?
- Welche Rolle spielen co-abhängige Beziehungsmuster (z. B. in Familien oder Partnerschaften) bei der Aufrechterhaltung einer Alkoholabhängigkeit?
- Welche psychologischen Mechanismen liegen der Co-Abhängigkeit zugrunde?
- Wie beeinflussen die psychologischen Mechanismen der Co-Abhängigkeit die Dynamik in Beziehungen mit suchtkranken Personen?
- Wie wirken sich Stress und traumatische Lebensereignisse auf die Entwicklung einer Alkoholabhängigkeit aus, und welche biologischen und psychologischen Prozesse sind dabei beteiligt?
- Welche Rolle spielen Lernprozesse (z. B. klassische und operante Konditionierung) bei der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Alkoholabhängigkeit?
- Wie beeinflussen gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren (z. B. Werbung, Preispolitik, Arbeitslosigkeit) die Ätiologie der Alkoholabhängigkeit?
- Was versteht man unter einem Rückfall?
- Welche Faktoren (z. B. Stress, soziale Situationen, Craving) erhöhen das Risiko eines Rückfalls bei Patienten mit Alkoholabhängigkeit?
- Wie wirken sich psychische Begleiterkrankungen (z. B. Depressionen, Angststörungen) auf das Rückfallrisiko aus?
- Welche Rolle spielen Coping-Strategien und soziale Unterstützung bei der Verhinderung von Rückfällen?