22.1 Definition
Es ist sinnvoll mit einem Abschnitt zur Definition von Psychotherapie zu starten, da “Psychotherapie” ein vielschichtiger Begriff ist, der unterschiedliche Ansätze und Zielsetzungen umfasst. Eine präzise Definition hilft, die spezifischen Merkmale und Ziele der Psychotherapie zu erkennen und sie von anderen Interventionen (z.B. Beratung, Coaching) abzugrenzen.
Eine sehr ausführliche wissenschaftliche Definition von Psychotherapie stammt von dem österreichischen Psychiater, Psychotherapeut und Pionier der Psychotherapieforschung Hans Strotzka (1917-1994):
“Psychotherapie ist ein bewußter und geplanter interaktioneller Prozeß zur Beeinflussung von Verhaltensstörungen und Leidenszustanden, die in einem Konsensus (möglichst zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden, mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist verbal aber auch averbal, in Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Symptomminimalisierung und/oder Strukturanderung der Persönlichkeit) mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens.” (Strotzka, 1978, S. 3)
Strotzka betont in seiner Definition insbesondere folgende Punkte:
- Psychotherapie ist kein zufälliger oder intuitiver Prozess, sondern folgt einem strukturierten Vorgehen.
- Psychotherapie zielt darauf ab, dysfunktionale Verhaltensmuster zu verändern und subjektives Leiden zu lindern. Sie befasst sich sowohl mit sichtbaren Symptomen als auch mit dem inneren Erleben des Patienten.
- Psychotherapeutische Techniken sind erlernbar und können in Ausbildungen systematisch vermittelt werden. Lehrbare Techniken machen die Psychotherapie transparent. Es kann nachvollzogen werden, wie und warum bestimmte Methoden angewendet werden und ob sie wirksam sind.
- Psychotherapie nutzt psychologische Methoden (z. B. Gespräche, Verhaltensübungen, Rollenspiele) und keine medikamentösen oder somatischen Verfahren. Die therapeutische Beziehung und Kommunikation stehen im Mittelpunkt.
- Die Betonung einer Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens ist wichtig, weil damit erklärt werden kann, wie es zur Entstehung einer Störung kommt und diese aufrecht erhalten werden.
Definition von Psychotherapie im Psychotherapeutengesetz (PsychThG)
“Ausübung der Psychotherapie im Sinne dieses Gesetzes ist jede mittels wissenschaftlich geprüfter und anerkannter psychotherapeutischer Verfahren oder Methoden berufs- oder geschäftsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist. Im Rahmen einer psychotherapeutischen Behandlung ist eine somatische Abklärung herbeizuführen. Tätigkeiten, die nur die Aufarbeitung oder Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben, gehören nicht zur Ausübung der Psychotherapie.”
In Psychotherapie-Lehrbüchern und Publikationen finden sich allerdings noch eine Reihe weiterer Definitionen und Ansichten. Diese spiegeln u.a. auch noch die therapeutische Philosophie und das Menschenbild der Autoren wider. In Tabelle 22.1 sind eine Reihe von weiteren Definitionen von Psychotherapie aufgeführt.
Autor (Jahr) | Definition/Zusammenfassung |
---|---|
Prochaska (1994) | - Form der zwischenmenschlichen Überredung - Psychosoziale Erziehung - Verhaltenstechnische Maßnahmen - Art der Führung im Sinne der Selbstveränderung |
Norcross (1990) | Psychotherapie ist der bewusste und beabsichtigte Einsatz von klinischen und interpersonellen Behandlungsmethoden, abgeleitet aus den bewährten Aussagen der psychologischen Wissenschaften, um Menschen bei der Veränderung ihres Verhaltens, ihrer kognitiven Eigenschaften, ihrer Emotionen und / oder anderer individueller Merkmale zu begleiten, die den Teilnehmern an diesem Prozess wünschenswert erscheinen. |
Urban & Ford (1990) | Die Psychotherapie ist nach wie vor ein gut durchdachter und in dieser Hinsicht geplanter Weg, um in das Verhalten einer Person einzugreifen, um ihre Haltung gegenüber einer bestimmten Art von Schwierigkeiten zu korrigieren oder zu ändern. |
Aleksandrowicz (1994) | Psychotherapie als eine Art von psychologischen Interaktionen, die auf die Behandlung abzielen - die Beseitigung von Störungen, die vom Individuum erlebt oder von seiner Umgebung als Krankheit definiert werden. Sie beeinflusst den Funktionszustand der Organe, das Überleben und das Verhalten, indem sie die mentalen Prozesse des Patienten in den Bereichen verändert, in denen es notwendig ist, die Ursache und die Symptome der zu behandelnden Krankheit zu beseitigen. |
Orlinsky (1989) | Eine von einer säkularen, rationalen, technischen und wissenschaftlichen Kultur entwickelte Tätigkeit, die darin besteht, Ratschläge zu erteilen und Einzelpersonen und Gruppen in Situationen extremen Stresses ein Gefühl der Erleichterung und des Trostes zu vermitteln. Das 20. Jahrhundert ist eine Zeit des sozialen Wandels, der einen enormen Einfluss auf das persönliche Leben des Einzelnen hat. |
Greenberg (1991) | - Die wichtigste Aufgabe ist es, zu lernen, wie Psychotherapie funktioniert, und nicht zu versuchen, verschiedene Annahmen zu bestätigen, die erkennen, dass einzelne psychotherapeutische Dogmen oder therapeutische Ansätze richtiger sind als andere Dogmen oder psychotherapeutische Schulen. - Eine Veränderung im Prozess der Psychotherapie lässt sich nicht mit den allgemeinen Regeln der Verhaltensänderung beschreiben. |
Kiesler (1986) & Stiles (1986) | Um das Wesen der Psychotherapie zu verstehen, muss man wissen, wie jede psychotherapeutische Sitzung den Patienten beeinflusst oder nicht beeinflusst. Die primäre Aufgabe eines Psychotherapeuten besteht darin, zu verstehen, was mit dem Patienten als Ergebnis seiner psychotherapeutischen Interventionen geschieht, als ein Werkzeug, das spezifisch ist. |
Wann handelt es sich nicht um Psychotherapie
Psychologische Tätigkeiten, die die Aufarbeitung und Überwindung sozialer Konflikte oder sonstige Zwecke außerhalb der Heilkunde zum Gegenstand haben, gehören nicht zur Psychotherapie.
Beratungsgespräche, Seelsorgegespräche oder Coaching stellen keine Psychotherapie dar.
Formal handelt es sich nach deutschem Recht nicht um Psychotherapie, sondern um psychologische Beratung oder andere Methoden, wenn
- keine Störungen oder Krankheiten behandelt wird;
- es sich um Selbsthilfegruppen, Selbsterfahrungsgruppen, Supervisionen, Trainings- oder Coachinggruppen sowie allgemeine Lebensberatung handelt;
- die Prinzipien von Diagnose und Heilung nicht angewandt werden;
- keine (schriftliche oder mündliche) Vereinbarung zu einer Psychotherapie vorliegt;
- ausschließlich Behandlungen mit Medikamenten erfolgen;
- keine persönliche Interaktion stattfindet;
22.2 Kurze Historie der Psychotherapie
Zeitraum | Meilenstein | Personen | Kurze Erklärung |
---|---|---|---|
Ende 19. Jh. | Begründung der Psychoanalyse | Sigmund Freud | Entwicklung der “Redekur” und Erforschung des Unbewussten als Grundlage der Therapie. |
Anfang 20. Jh. | Entwicklung der Tiefenpsychologie | Carl Gustav Jung, Alfred Adler | Abspaltung von Freuds Psychoanalyse; Fokus auf kollektives Unbewusstes (Jung) und Individualpsychologie (Adler). |
1920er Jahre | Behaviorismus und Grundlagen der Verhaltenstherapie | John B. Watson, Iwan Pawlow | Wissenschaftliche Untersuchung von Verhalten und Konditionierung als Grundlage für Verhaltenstherapie. |
1940er–1950er | Klientenzentrierte Therapie | Carl Rogers | Fokus auf Empathie, bedingungslose positive Wertschätzung und Echtheit in der therapeutischen Beziehung. |
1960er Jahre | Entwicklung der kognitiven Therapie | Aaron T. Beck | Erkennen und Verändern dysfunktionaler Gedankenmuster als Schlüssel zur Behandlung psychischer Störungen. |
1970er–1980er | Entwicklung der Systemischen Therapie | Virginia Satir, Salvador Minuchin, Paul Watzlawick | Fokus auf Beziehungsmuster und Interaktionen im System (z. B. Familie) als Grundlage für Veränderung. |
21. Jahrhundert | Evidenzbasierte Psychotherapie | – | Wissenschaftlich fundierte Therapieansätze, deren Wirksamkeit empirisch belegt ist. |
21. Jahrhundert | Digitale Therapieformen (Online-Therapie, Apps) | – | Nutzung digitaler Technologien zur Unterstützung und Bereitstellung psychotherapeutischer Interventionen. |
22.3 Psychotherapie in Deutschland
Psychotherapie ist ein fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung und wird durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) finanziert.
Im ambulanten Setting dürfen allerdings nur
- Psychologische Psychotherapeuten (PP),
- Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP),
- Psychotherapeuten (neue Regelung seit 2020 nach Reform des PsychThG)
- Ärzte mit psychotherapeutischer Zusatzqualifikation und
- Ärzte mit psychotherapeutischer Weiterbildung
mit einer Kassenzulassung (auch “Kassensitz” genannt) Leistungen direkt mit der GKV abrechnen. In Tabelle 22.3 sind die berufs- und sozialrechtlichen Rahmenbedingungen aufgeführt.
Aspekt | Berufsrecht | Sozialrecht | Regelungen für Psychotherapeuten | Regelungen für Ärzte |
---|---|---|---|---|
Ziel | Regelt die Berufsausübung und Qualität. | Regelt soziale Sicherheit und Versorgung der Versicherten. | Sicherstellung qualifizierter Psychotherapie. | Sicherstellung qualifizierter medizinischer Behandlung. |
Regelungsbereich | Berufszulassung, Pflichten, Ethik. | Kranken-, Renten-, Pflegeversicherung usw. | Approbation, Berufsordnung, Fortbildungspflicht. | Approbation, Berufsordnung, Fortbildungspflicht. |
Beispiele | PsychThG, Berufsordnungen der Kammern. | SGB V (Krankenversicherung), SGB XII (Sozialhilfe). | Psychotherapeutengesetz (PsychThG), Berufsordnung der Psychotherapeutenkammer. | Bundesärzteordnung (BÄO), Berufsordnung der Ärztekammer. |
Zuständigkeit | Berufsverbände, Kammern, Berufsgerichte. | Sozialgerichte, Krankenkassen, staatliche Institutionen. | Psychotherapeutenkammer, Berufsgerichte. | Ärztekammer, Berufsgerichte. |
Tabelle 22.3 vergleicht die Bereiche Berufsrecht und Sozialrecht und zeigt, wie diese für Psychotherapeuten und Ärzte in Deutschland geregelt sind. Während das Berufsrecht die Qualität und Ethik der Berufsausübung sicherstellt, regelt das Sozialrecht die Finanzierung und Absicherung der Leistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung.
Für Ärzte ist die Bundesärzteordnung (BÄO) das zentrale Gesetz. Es regelt die Zulassung und Berufsausübung von Ärzten in Deutschland.
Reform der Psychotherapeutenausbildung
2019 wurde das Psychotherapeutengesetzes (PsychThG) und damit die Ausbildung von Psychotherapeuten modernisiert. Statt eines allgemeinen Psychologiestudiums mit anschließender psychotherapeutischer Ausbildung gibt es jetzt einen Studiengang “Psychotherapie”, der mit einem Master of Science (M.Sc.) in Psychotherapie abgeschlossen wird. Nach dem Masterabschluss müssen angehende Psychotherapeuten eine staatliche Approbationsprüfung ablegen, um die Berufserlaubnis zu erhalten. Danach folgt eine 5-jährige Weiterbildungszeit im ambulanten und stationären Setting, für die die Landespsychotherapeutenkammern zuständig sind. Nach erfolgreicher Prüfung vor dem Weiterbildungsausschuss der jeweiligen Landespsychotherapeutenkammer wird die Qualifikation als “Fachpsychotherapeut” erlangt. Diese beinhaltet auch eine Spezialisierung in einem Psychotherapieverfahren (Verhaltenstherapie, Psychodynamische Psychotherapie, Systemische Psychotherapie) und einem Altersbereich (Kinder- und Jugendliche vs. Erwachsene) beinhaltet.
Im stationären Setting (z. B. in Krankenhäusern, psychiatrischen Kliniken oder psychosomatischen Kliniken) gelten andere Regelungen für die Erbringung von Psychotherapie. Hier können neben den im ambulanten Setting zugelassenen Therapeuten auch weitere Berufsgruppen Psychotherapie anbieten, da die Behandlung im Rahmen eines umfassenden klinischen Settings und unter der Verantwortung des ärztlichen Leiters erfolgt (siehe @#tbl-psychotherapy-overview-setting für eine Übersicht).
Aspekt | Ambulantes Setting | Stationäres Setting |
---|---|---|
Zugelassene Berufsgruppen | Nur approbierte Psychotherapeuten und Ärzte mit Kassenzulassung. | Ärzte, Psychotherapeuten, Psychologen, Pflegekräfte und andere Fachkräfte. |
Kassenzulassung | Erforderlich (Kassensitz). | Nicht erforderlich (Abrechnung über Krankenhaus). |
Behandlungskonzept | Meist Einzel- oder Gruppentherapie. | Multimodale Behandlung im Team. |
Kostenerstattung | Direkt über GKV (auf Antrag des Patienten). | Über Krankenhausbudget (GKV). |
Gesetzliche Grundlagen der Psychotherapie
Psychotherapeutengesetz (PsychThG): Dieses Gesetz regelt die Ausbildung, Approbation und Berufsausübung von Psychotherapeuten. Es legt auch fest, wer Psychotherapie unter welchen Bedingungen anbieten darf und welche Therapieverfahren anerkannt sind.
Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V): Dieses Gesetz regelt die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, einschließlich der Psychotherapie. Es definiert, welche psychotherapeutischen Verfahren (z. B. Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, analytische Psychotherapie) von der GKV übernommen werden.
Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA): Der G-BA legt fest, welche psychotherapeutischen Verfahren und Methoden von der GKV erstattet werden. Dazu gehören auch die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Psychotherapie, wie die Anzahl der Sitzungen und die Diagnosevoraussetzungen.
22.4 Psychotherapie: Berufs- und Sozialrecht
Tabelle 22.5 zeigt die historische Entwicklung der Psychotherapie in Deutschland und ihre Anerkennung als Bestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
Datum | Ereignis |
---|---|
1964 | Anerkennung der „Neurose“ als behandlungsbedürftige Krankheit durch das Bundessozialgericht. |
1967 | Psychotherapie in Form der analytischen und tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie wird Regelleistung der GKV (Psychotherapie-Richtlinie). Leistungserbringer sind Ärzte und Diplom-Psychologen in Delegation. |
1987 | Verhaltenstherapie wird Regelleistung der GKV. Einführung der „Psychosomatischen Grundversorgung“. |
1992 | Gebietsarzt für Psychotherapeutische Medizin (seit 2003 Facharzt für Psychosomatische Medizin & Psychotherapie). |
1994 | Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ersetzt die vorhergehenden Facharztbezeichnungen Facharzt für Psychiatrie sowie den Nervenarzt. |
1999 | Einführung der neuen Heilberufe „Psychologischer Psychotherapeut“ und „Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut“ mit eigener Approbation. |
2019 | Reform des Psychotherapeutengesetzes (PsychThG): Einführung eines direkten Psychotherapiestudiums mit Masterabschluss. Approbation nach Abschluss des Masterstudiums Psychotherapie. |
2019 | Systemische Psychotherapie für Erwachsene wird Regelleistung der GKV (Psychotherapie-Richtlinien). |
2024 | Systemische Psychotherapie für Kinder und Jugendliche wird Regelleistung der GKV (Psychotherapie-Richtlinien). |
Tabelle 22.5 verdeutlicht, wie Psychotherapie in Deutschland schrittweise als eigenständige Säule der Gesundheitsversorgung anerkannt wurde. Sie zeigt die Entwicklung von der Anerkennung psychischer Erkrankungen über die Einführung verschiedener Therapieverfahren bis hin zur Professionalisierung des Psychotherapeutenberufs.
Weitere Informationen zu den rechtliche Grundlagen der psychotherapeutischen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung finden sich in den nachfolgenden Links:
22.5 Psychotherapie: Verfahren und Methoden
In der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) wird zwischen Psychotherapieverfahren und Psychotherapiemethoden unterschieden. Diese Unterscheidung ist wichtig, da sie festlegt, welche Therapieformen von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland anerkannt und erstattet werden (siehe Tabelle 22.6).
Aspekt | Psychotherapieverfahren | Psychotherapiemethoden |
---|---|---|
Definition | Wissenschaftlich anerkannte Hauptrichtungen der Psychotherapie. | Spezifische Techniken oder Interventionen innerhalb der Verfahren. |
Beispiele | - Analytische Psychotherapie (AP) | - Expositionstherapie (VT) |
- Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP) | - Kognitive Umstrukturierung (VT) | |
- Verhaltenstherapie (VT) | - Übertragungsanalyse (TP) | |
- Freie Assoziation (AP) | ||
Anerkennung | Als Regelleistungen der GKV anerkannt. | Werden im Rahmen der anerkannten Verfahren angewendet. |
Rolle in der Therapie | Grundlegende theoretische und praktische Ausrichtung. | Konkrete Techniken zur Umsetzung der Therapieziele. |
Psychotherapieverfahren sind die übergeordneten, wissenschaftlich anerkannten Therapierichtungen, die von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert werden. Beispiele sind die Analytische Psychotherapie (AP), die Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (TP) und die Verhaltenstherapie (VT). Psychotherapiemethoden sind die spezifischen Techniken und Interventionen, die innerhalb dieser Verfahren angewendet werden. Beispiele sind die Expositionstherapie (in der VT), die kognitive Umstrukturierung (in der VT) oder die Übertragungsanalyse (in der TP). Die Verfahren sind grundlegend für die Umsetzung der Psychotherapie, da in der Theorie des Verfahren nicht nur die Entstehung und Aufrechterhalt der psychischen Probleme thematisiert wird, sondern auch deren Behandlung. Psychotherapiemethoden sind dagegen konkrete Werkzeuge zur Umsetzung der Therapieziele.
22.6 Berufs- und sozialrechtlich anerkannte Psychotherapieverfahren
In Deutschland sind berufs- und sozialrechtlich anerkannte Psychotherapieverfahren diejenigen Therapieformen, die sowohl nach dem Psychotherapeutengesetz (PsychThG) als auch in der Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) anerkannt sind. Aktuell sind das die Verhaltenstherapie, die Psychodynamische Psychotherapie und die Systemische Psychotherapie. Diese drei Verfahren werden von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) finanziert und dürfen von approbierten Psychotherapeuten und Ärzten mit entsprechender Qualifikation durchgeführt werden (siehe Tabelle 22.7).
Merkmal | Verhaltenstherapie (VT) | Systemische Psychotherapie | Psychodynamische Psychotherapie |
---|---|---|---|
Krankheitstheorie | Psychische Störungen entstehen durch erlernte Verhaltensmuster und dysfunktionale Kognitionen. | Störungen entstehen durch Probleme in sozialen Systemen (z. B. Familie, Beziehungen). | Störungen entstehen durch unbewusste Konflikte und frühkindliche Prägungen. |
Behandlungstheorie | Veränderung von Verhaltensmustern und Denkprozessen durch Lernen und Übung. | Veränderung von Interaktionsmustern und Beziehungen innerhalb des Systems. | Aufdeckung und Bearbeitung unbewusster Konflikte und Übertragungsmuster. |
Wirkfaktoren | - Kognitive Umstrukturierung - Verhaltensänderung - Exposition. |
- Veränderung von Beziehungsmustern - Ressourcenaktivierung. |
- Einsicht in unbewusste Konflikte - Übertragungsarbeit. |
Therapieziele | - Symptomreduktion - Verbesserung der Bewältigungsstrategien. |
- Verbesserung der Interaktionen im System - Lösung von Konflikten. |
- Aufarbeitung unbewusster Konflikte - Persönlichkeitsentwicklung. |
Behandlungssetting & -techniken | - Einzel- oder Gruppentherapie - Exposition, Verhaltensübungen, Hausaufgaben. |
- Einzel-, Paar- oder Familientherapie - Familiengespräche, Genogramm. |
- Einzeltherapie - Freie Assoziation, Traumdeutung, Übertragungsanalyse. |
Interaktion/therapeutische Beziehung | Therapeut als Coach oder Trainer, direkte Anleitung. | Therapeut als neutraler Moderator, Fokus auf Systemdynamik. | Therapeut als neutraler Beobachter, Arbeit mit Übertragung und Gegenübertragung. |
Kontextuelle Bedingungen | - Kurz- bis mittelfristige Therapie - Strukturiert und zielorientiert. |
- Kurz- bis mittelfristige Therapie - Fokus auf Beziehungsmuster. |
- Langfristige Therapie - Fokus auf unbewusste Prozesse. |
22.7 Wirkfaktoren der Psychotherapie
Schon in den Anfängen der Psychotherapie wurde die Frage gestellt, wie es aufgrund einer Psychotherapie zu Veränderungen kommt. Zum Erfolg scheinen spezifische und unspezifische Wirkfaktoren beizutragen (siehe Tabelle 22.8).
Aspekt | Spezifische Wirkfaktoren | Unspezifische Wirkfaktoren |
---|---|---|
Definition | Therapiemethodenspezifische Elemente | Allgemeine Elemente, die in allen Therapien vorkommen |
Beispiele | - Exposition (VT) - Übertragungsanalyse (TP/AP) - Genogrammarbeit (ST) |
- Therapeutische Beziehung - Empathie - Hoffnung |
Bezug zur Methode | Spezifisch für ein bestimmtes Therapieverfahren | Unabhängig vom Therapieverfahren |
Spezifische Wirkfaktoren sind verfahrensspezifische Techniken, die direkt auf die Veränderung der Symptome und Probleme des Patienten abzielen (z. B. Exposition in der Verhaltenstherapie, Techniken zur kognitiven Umbewertung). Zu den unspezifischen Wirkfaktoren gehören beispielsweise die therapeutische Allianz (Beziehung zwischen Therapeut und Patient, Empathie, Zuhören, ein unterstützendes Umfeld und der Glaube des Patienten an die Wirksamkeit der Therapie). Placeboeffekte werden ebenso zu den unspezifische Wirkfaktoren gerechnet. Die Liste der möglichen unspezifischen Wirkfaktoren ist lang.
Grawe et al. (2001), ein bedeutender Psychotherapieforscher, hat in seinem Allgemeinen Psychotherapiemodell fünf zentrale unspezifische Wirkfaktoren identifiziert, die in jeder Psychotherapie wirksam sind und unabhängig von der spezifischen Therapiemethode den Therapieerfolg maßgeblich beeinflussen (siehe Tabelle 22.9).
Wirkfaktor | Definition | Bedeutung |
---|---|---|
Therapeutische Beziehung | Vertrauensvolle, empathische und wertschätzende Beziehung zwischen Therapeut und Patient. | Schafft ein sicheres Umfeld für Veränderungen. |
Ressourcenaktivierung | Stärkung und Nutzung der vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen des Patienten. | Hilft dem Patienten, eigene Kompetenzen zu erkennen und zu nutzen. |
Problemaktualisierung | Gezielte Aktivierung und Bearbeitung der Probleme und Konflikte des Patienten. | Fördert die direkte Auseinandersetzung mit den Problemen. |
Motivationale Klärung | Klärung und Förderung der Motivation des Patienten für Veränderungen. | Stärkt die Bereitschaft des Patienten, sich auf den Therapieprozess einzulassen. |
Problembewältigung | Probleme und Konflikte des Patienten werden im Therapieprozess aktiviert und bearbeitet. | Unterstützt den Patienten mit bewährten problemspezifischen Maßnahmen darin, positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit seinen Problemen zu machen. |
Erfolge der Psychotherapie beruhen meistens auf einer Kombination von spezifischen und unspezifischen Wirkfaktoren. Ziel der Psychotherapie-Prozess-Forschung ist es, herauszuzfinden, welchen Beitrag die einzelnen Faktoren im Hinblick auf das Therapieergebnis leisten (Cuijpers et al., 2019).
22.8 Verständnisfragen
- Nennen Sie vier wesentliche Merkmale in der Definition von Psychotherapie von Strotzka.
- Was bedeutet „bewusster und geplanter interaktioneller Prozess“?
- Welche Rolle spielt der „Konsens zwischen Patient, Therapeut und Bezugsgruppe“?
- Warum muss Psychotherapie lehrbar sein?
- Warum muss Psychotherapie eine Theorie des normalen und pathologischen Verhaltens beinhalten?
- Nennen Sie drei Merkmale, die darauf hinweisen, dass es sich nicht um Psychotherapie handelt.
- Wer darf in Deutschland im ambulanten Sektor Psychotherapie zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen?
- Was bedeutet in bezug auf Frage 7 “Kassenzulassung”?
- Welches Gesetz regelt den Beruf des Psychotherapeuten?
- Welches Gesetz regelt den Beruf des Arztes?
- Wer darf im stationären Setting Psychotherapie erbringen? Begründen Sie Ihre Antwort.
- Erläutern Sie das Berufs- und Sozialrecht.
- Definieren Sie “Psychotherapieverfahren”.
- Definieren Sie “Psychotherapiemethoden”.
- Nennen Sie zwei Psychotherapiemethoden der Verhaltenstherapie.
- Welche Psychotherapieverfahren sind in Deutschland berufs- und sozialrechtlich anerkannt?
- Charakterisieren Sie kurz die drei Verfahren hinsichtlich der Krankheits- und Behandlungstheorie.
- Was versteht man unter Wirkfaktoren in der Psychotherapie?
- Was sind spezifische wirkfaktoren? Nennen Sie zwei Beispiele.
- Was sind unspezifische wirkfaktoren? Nennen Sie zwei Beispiele.
- Welche fünf Wirkfaktoren postuliert Grawe?
- Erläutern Sie einen der Wirkfaktoren von Grawe.
- Können die unspezifischen Wirkfaktoren maßgeblich für den Erfolg einer Psychotherapie verantwortlich gemacht werden?