9  Schizophrenie: Therapie

Veröffentlichungsdatum

01/02/2025

9.1 Einleitung

Die Behandlung von Schizophrenie erfordert einen umfassenden Ansatz, der sowohl medikamentöse als auch psychosoziale Interventionen und andere Maßnahmen umfasst.

Die Behandlung erfolgt ausschließlich symptomatisch. Medikamente und auch psychosoziale Interventionen haben keinen direkten, dauerhaften Einfluss auf die ursächliche Pathophysiologie (Millan et al., 2016).

9.2 Psychopharmakotherapie

Laut S3-Leitlinie Schizophrenie soll die Wahl des geeigneten Antipsychotikums sowie der Applikationsform gemeinsam mit der betroffenen Person und dem behandelnden Arzt vorgenommen werden. Hierbei sollen berücksichtigt und erörtert werden:

  • das klinische Zielsyndrom
  • Vorerfahrungen bzgl. Wirkungen und Nebenwirkungen mit einem oder mehreren Präparat(en) im bisherigen Behandlungsverlauf
  • Vor- und Nachteile des jeweiligen Präparats
  • metabolische, motorische, kardiovaskuläre oder hormonelle/sexuelle Nebenwirkungen (siehe @fig-unw-antipsychotika)
  • Nutzen und Risiken bei Verzicht auf eine Behandlung mit Antipsychotika
  • Präferenzen des Betroffenen
  • Geschlechtsspezifische Aspekte, Alter der Patienten und Komorbiditäten

Laut Leitlinie sollen die Behandlungsvereinbarung und Krisenpässe des Patienten, wenn vorhanden, berücksichtigt werden. Im Verlauf einer Behandlung soll die Risiko-Nutzen-Bewertung kontinuierlich überprüft und bei Änderungen entsprechende Maßnahmen ergriffen werden.

In der S3-Leitlinie Schizophrenie sind folgende weitere allgemeine Aspekte zur medikamentösen Behandlung von Patienten mit einer Schizophrenie aufgeführt:

“In der pharmakologischen Behandlung der Schizophrenie kommen Medikamente unterschiedlicher Substanzklassen zur Anwendung. In Deutschland sind aktuell fast 30 Antipsychotika verfügbar.

Nach der chemischen Struktur können Antipsychotika prinzipiell unterteilt werden in:

  • Trizyklische Antipsychotika:
    • Phenothiazine mit verschiedenen substituierten Seitenketten wie Chlorpromazin (in Deutschland vom Markt genommen) Fluphenazin, Levopromazin, Perazin, Perphenazin, Promethazin und Thioridazin; Azaphenothiazine wie Prothipendyl
    • Thioxanthene wie Flupentixol, Zuclopenthixol und Chlorprothixen
    • Dibenzodiazepine wie Clozapin, Dibenzothiazepine wie Quetiapin, Thienobenzodiazepine wie Olanzapin, Dibenzothiepine wie Zotepin (in Deutschland seit 2010 nicht mehr verfügbar)
  • Butyrophenone wie Benperidol, Bromperidol, Haloperidol, Melperon, Pipamperon und Trifluperidol
  • Diphenylbutylpiperidine wie Pimozid und Fluspirilen,
  • Benzisoxazolpiperidine wie Risperidon; Phenylindolpiperidine wie Sertindol,
  • Substituierte Benzamide wie Amisulprid, Sulpirid und Tiaprid
  • Benzisothiazolderivate wie Ziprasidon
  • Dichlorphyenyl-Piperazinyl-Quiloninon wie Aripiprazol
  • Dichlorophenylpiperazin-Derivate wie Cariprazin

Abhängig von der chemischen Klasse, der Dosierung, der Behandlungsfrequenz und der Behandlungsdauer, vor allem jedoch von den individuellen Gegebenheiten des Patienten, kann durch die antipsychotische Behandlung eine Vielzahl von Nebenwirkungen induziert werden. Antipsychotika sind in der Akuttherapie und der Rezidivprophylaxe potente Medikamente mit NNT von 4 bis 9 und damit vergleichbar statistisch effektiv wie viele somatische Medikamente. Diese hohe Effektivität bedingt der allgemeinen Pharmakologie folgend auch entsprechende Nebenwirkungen (siehe Abbildung 9.1).

Abbildung 9.1: Unerwünschte Nebenwirkungen bei der Einnahme von Antipsychotika

Anmerkung zu Abbildung 9.1: Die Abbildung wurde basierend auf den CINP Schizophrenia Guidelines und der dortigen Referenzen sowie der vorherigen AWMF-Leitlinie „Schizophrenie“ erstellt und im Expertenkonsens basierend aus Informationen aus Fachinformationen und neueren Meta-Analysen angepasst. Fehlende Daten wurden durch die Fachinformationen und anhand des Standardwerks für Psychopharmakologie in Deutschland ergänzt. Die Angaben zur Pneumonie wurden aus einer Meta-Analyse extrahiert. Prinzipiell können bei breiter Anwendung der Präparate auch unerwartete Nebenwirkungen auftreten, so dass die Pharmakovigilanz [alle Aktivitäten, die sich mit der Aufdeckung, Bewertung, dem Verstehen und der Prävention von Nebenwirkungen oder von anderen Arzneimittel-bezogenen Problemen befassen] stets erfolgen muss.

1Lurasidon ist in Deutschland für die Behandlung der Schizophrenie zugelassen, die Substanz kann aber nicht zulasten der GKV verordnet werden.“

0=nicht vorhanden, (+)=vereinzelt oder kein signifikanter Unterschied zu Plazebo, +=selten, ++=gelegentlich, +++=häufig ?=keine ausreichende Datenlage zur Abschätzung der Häufigkeit. Zu beachten ist, dass es sich hier nicht um systematisch zusammengetragene quantitative Häufigkeitsabschätzungen handelt, sondern um qualitiativ abgeschätzte klinische Erfahrungswerte unter Berücksichtung der zu Beginn genannten Quellen. MNS: Malignes Neuroleptisches Syndrom

Extrapyramidales Syndrom (EPS)

Das EPS ist eine Gruppe von Nebenwirkungen, die im Zusammenhang mit der Anwendung von Antipsychotika, insbesondere von klassischen (typischen) Neuroleptika, auftreten können. Hier sind einige der wichtigsten Komponenten des extrapyramidalen Syndroms:

  1. Akathisie: Dies ist eine subjektive Unruhe und der starke Wunsch zu bewegen. Patienten mit Akathisie können Schwierigkeiten haben, still zu sitzen oder zu stehen und erleben einen inneren Drang zur Bewegung.
  2. Parkinsonismus: Dies ähnelt den Symptomen der Parkinson-Krankheit und kann Tremor (Zittern), Bradykinesie (verlangsamte Bewegungen), Rigor (Muskelsteifigkeit) und posturale Instabilität (Instabilität beim Stehen oder Gehen) umfassen.
  3. Dystonie: Dystonie ist durch unwillkürliche Muskelkontraktionen gekennzeichnet, die zu abnormalen Haltungen oder Bewegungen führen können. Dies kann Muskelspasmen, Krämpfe oder Verzerrungen betreffen.
  4. Spätdyskinesien: Diese treten in der Regel nach längerer Anwendung von Antipsychotika auf und sind durch unwillkürliche, repetitive Bewegungen, häufig im Gesichtsbereich, gekennzeichnet. Diese können als Grimassieren, Zucken oder Zungenbewegungen auftreten.


Siehe Vorlesungsfolien für weitere Ausführungen zur Medikamentösen Behandlung von Patienten mit einer Schizophrenie bzw. psychotischen Störung.

9.3 Psychosoziale Interventionen

Psychosoziale Interventionen spielen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Lebensqualität, der sozialen Integration und der Bewältigung von Herausforderungen im Alltag. Hier sind einige wichtige psychosoziale Interventionen bei der Behandlung von Patienten mit Schizophrenie:

  • Psychoedukation: Informative Schulungsprogramme, die Patienten und ihren Familien grundlegende Kenntnisse über Schizophrenie vermitteln. Dies umfasst Informationen über die Natur der Erkrankung, Symptome, Verlauf, Behandlungsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien (Bäuml & Pitschel-Walz, 2020).
  • Kognitive Verhaltenstherapie (CBT): CBT kann helfen, problematische Denk- und Verhaltensmuster zu identifizieren und zu modifizieren. Sie konzentriert sich auf die Entwicklung von Bewältigungsstrategien, die Reduktion von belastenden Symptomen und die Verbesserung der Lebensqualität (Lincoln, 2019). Auch die Verbesserung der Medikamentencompliance ist ein Ziel.
  • Soziales Kompetenztraining in Verbindung mit einem kognitiven Training: Dieses Training zielt darauf ab, die sozialen Fertigkeiten, aber auch kognitiver Funktionen der Patienten zu verbessern. Es kann dabei helfen, die zwischenmenschliche Kommunikation, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit zur Konfliktlösung zu stärken (siehe Roder et al., 2008; Roder & Müller, 2013).
  • Unterstützte Beschäftigung und Ausbildung: Programme, die darauf abzielen, die beruflichen Fähigkeiten und die Integration in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Dies kann den Patienten helfen, ihre beruflichen Ziele zu erreichen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen (Umsetzung der Prinzipien des Supported Employment in Deutschland).
  • Familientherapie: Einbeziehung der Familienmitglieder in den Behandlungsprozess. Familientherapie kann die Kommunikation innerhalb der Familie verbessern (siehe Expressed Emotion), Beziehungen stärken und den Familienmitgliedern helfen, effektiver mit den Herausforderungen der Schizophrenie umzugehen (McFarlane, 2016).
  • Unterstützung bei der Lebensbewältigung: Dies umfasst die Förderung von Fertigkeiten zur Bewältigung von Alltagsanforderungen, die Entwicklung von Selbstpflegefähigkeiten und Strategien zur Problemlösung (siehe z. B. Soziotherapie).

Diese psychosozialen Interventionen sollten in enger Zusammenarbeit mit der medikamentösen Behandlung erfolgen.


Siehe Vorlesungsfolien für weitere Ausführungen zu psychosozialen Interventionen bei Patienten mit einer Schizophrenie bzw. psychotischen Störung.

Prävention

Klinische Studien zu pharmakotherapeutischen und psychosozialen und/oder kognitiven Interventionen bei jungen hilfesuchenden Risikopersonen, haben insgesamt eine Verringerung des Übergangs in eine Psychose ergeben. Weitere empirische Befunde stehen hierzu allerdings noch aus (Millan et al., 2016).

9.4 Betreutes Wohnen

Das Betreute Wohnen ist ein unterstützendes Wohnmodell für Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie Schizophrenie, die nicht mehr vollständig eigenständig leben können, aber auch keinen dauerhaften stationären Aufenthalt benötigen. Es bietet eine Balance zwischen professioneller Betreuung und der Förderung von Selbstständigkeit. Das Ziel ist es, die Lebensqualität zu verbessern, die soziale Integration zu fördern und Rückfälle zu vermeiden.

Das Betreuten Wohnens bietet eine Individuelle Betreuung, ein gemeinschaftliches oder eigenständiges Wohnen, Unterstützung bei der Teilnahme an Therapien und der Etablierung einer Tagesstruktur. Auch soll der Aufbau sozialer Kontakte gefördert und bei Krisen eine schnelle Hilfe initiiert werden.

Sozialdienste in den Kliniken unterstützen den Patienten und die Angehörigen bei der Suche nach einem Platz im Betreuten Wohnen. Allerdings gilt es zu beachten, dass nicht jeder Patient für das Betreute Wohnen in Frage kommt. Die soziale Situation, der Verlauf der Erkrankung, die Bedürfnisse des Pat. etc. haben einen Einfluss auf die Entscheidung, einen Platz im Betreuten Wohnen zu suchen.

Die Kosten für das Betreute Wohnen werden auf Antrag überwiegend durch die Sozialhilfe und die Eingliederungshilfe getragen. Gegebenenfalls müssen sich die Patienten an den Kosten beteiligen.

9.5 Verständnisfragen

  1. Welche Empfehlungen gibt die S3-Leitlinie der AWMF bezüglich der Psychopharmakotherapie von Patienten mit einer Schizophrenie?
  2. Welche Themen sollten mit den Patienten vor einer Psychopharmakotherapie besprochen werden?
  3. Nennen Sie eine zwei Substanzklassen der Antipsychotika und erläutern Sie diese.
  4. Welche Nebenwirkungen können bei der Einnahme von Antipsychotika auftreten? Nennen Sie drei Nebenwirkungen.
  5. Wie können Nebenwirkungen wie extrapyramidale Symptome (EPS), metabolische Veränderungen oder Sedierung das Therapieergebnis beeinflussen, und welche Strategien gibt es, um diese zu minimieren?
  6. Inwiefern spielen Therapietreue (Adhärenz) und die subjektive Akzeptanz der Medikation durch den Patienten eine Rolle für den langfristigen Erfolg der Psychopharmakotherapie, und wie kann die Adhärenz verbessert werden?
  7. Was versteht man unter einem Extrapyramidale Syndrom (EPS)? Welche Symptome sind Bestandteil eines EPS?
  8. Was versteht man unter Psychoedukation?
  9. Welche Informationen sollten bei einer Psychoedukation dem Patienten und evtl. auch den Angehörigen vermittelt werden?
  10. Nennen Sie zwei psychosoziale Interventionen und erläutern Sie diese.
  11. Welche Aspekte werden in einem sozialen Kompetenztraining behandelt?
  12. Inwiefern können kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und psychoedukative Ansätze dazu beitragen, die Krankheitseinsicht und die Therapieadhärenz bei Schizophrenie-Patienten zu fördern?
  13. Wie kann das Konzept der Expressed Emotion (EE) in der familientherapeutischen Arbeit genutzt werden, um die Kommunikation und das Verständnis zwischen Patienten und ihren Angehörigen zu verbessern?
  14. Welche spezifischen Techniken oder Strategien können in der Familientherapie eingesetzt werden, um einen hohen Grad an kritischen Kommentaren, Feindseligkeit oder emotionaler Überinvolvierung (Merkmale von hoher EE) zu reduzieren?
  15. Inwiefern kann eine Psychoedukation für Angehörige dazu beitragen, das Verständnis für die Erkrankung zu fördern und die emotionale Belastung in Familien mit hoher Expressed Emotion zu verringern?
  16. Welche langfristigen Auswirkungen haben familientherapeutische Interventionen, die auf die Reduktion von Expressed Emotion abzielen, auf den Krankheitsverlauf und die Rückfallrate bei Patienten mit Schizophrenie?
  17. Was versteht man unter Familientherapie bei der Behandlung von Patienten mit einer Schizophrenie?
  18. Welche Rolle spielt die Soziotherapie bei der Unterstützung von Patienten mit Schizophrenie im Alltag, und wie kann sie individuell angepasst werden?
  19. Wie kann das Betreute Wohnen dazu beitragen, die Selbstständigkeit und soziale Integration von Patienten zu fördern, und welche Rolle spielen dabei die Betreuer und das soziale Umfeld?
  20. Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Übergangsgestaltung vom stationären Setting (z. B. Klinik) ins Betreute Wohnen, und wie können diese Herausforderungen erfolgreich bewältigt werden?

References

Bäuml, J., & Pitschel-Walz, G. (2020). Psychoedukation und Angehörigenarbeit bei Schizophrenie. PSYCH up2date, 14(02), 111–127.
Lincoln, T. (2019). Kognitive Verhaltenstherapie der Schizophrenie: Ein individuenzentrierter Ansatz. Hogrefe Verlag GmbH & Company KG.
McFarlane, W. R. (2016). Family Interventions for Schizophrenia and the Psychoses: A Review. Family Process, 55(3), 460–482. https://doi.org/10.1111/famp.12235
Millan, M. J., Andrieux, A., Bartzokis, G., Cadenhead, K., Dazzan, P., Fusar-Poli, P., Gallinat, J., Giedd, J., Grayson, D. R., Heinrichs, M., Kahn, R., Krebs, M.-O., Leboyer, M., Lewis, D., Marin, O., Marin, P., Meyer-Lindenberg, A., McGorry, P., McGuire, P., … Weinberger, D. (2016). Altering the course of schizophrenia: progress and perspectives. Nature Reviews Drug Discovery, 15(7), 485–515. https://doi.org/10.1038/nrd.2016.28
Roder, V., Brenner, H. D., & Kienzle, N. (2008). Integriertes psychologisches Therapieprogramm bei schizophren Erkrankten IPT. Beltz.
Roder, V., & Müller, D. R. (Hrsg.). (2013). INT - Integrierte neurokognitive Therapie bei schizophren Erkrankten. Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-21440-0