5.1 Einleitung
In diesem Abschnitt wird die Behandlung von Patienten mit einer affektiven Störung beschrieben, wobei insb. auf die Behandlung von Patienten mit einer depressiven Episode eingegangen wird, da die Prävalenzrate und die gesundheitspolitische Bedeutung dieser Patientengruppe am höchsten ist.
Behalten Sie im Gedächtnis, dass es unterschiedliche affektive Störungen gibt und sich die Störungen nicht nur hinsichtlich der Ätiologie, sondern auch hinsichtlich der Symptomatik, dem Krankheitsverlauf, der Komorbidität etc. unterscheiden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es eine ganze Reihe von Patienten gibt, die nicht oder nur sehr wenig von einer Behandlung, wie immer diese auch aussieht, profitieren.
5.2 Behandlung von Patienten mit einer depressiven Episode
In den Nationalen Versorgungsleitlinien Depression sind folgende Optionen zur Behandlung von Patienten mit einer Depression aufgeführt, wobei diese in Abhängigkeit vom Schweregrad und der Phase der Erkrankung einzeln oder in Kombination zur Anwendung kommen können:
- Hilfe zur Selbsthilfe und Stärkung von Selbstmanagement-Fähigkeiten durch Psychoedukation, Bibliotherapie, niedrigschwellige gesprächsbasierte Interventionen; jeweils ggf. in technologiegestützter Form;
- Psychotherapie;
- Medikamentöse Therapie;
- Neurostimulatorische Verfahren (Elektrokonvulsionstherapie, repetitive transkranielle Magnetstimulation u. a)
- Psychosoziale Interventionen (Ergo- oder Soziotherapie)
- Unterstützende Maßnahmen (Sport- und Bewegungstherapie, Lichttherapie, Schlafentzugstherapie)
Ich gehe in diesem Kapitel nicht auf alle der vorausgehend aufgeführten Optionen ein, sondern beschränke mich auf die medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung von Patienten mit einer depressiven Störung.
Generell spielen die Psychopharmakotherapie und Psychotherapie in der klinischen Versorgung der betroffenen Patienten die wichtigste Rollen (siehe Abbildung 5.1).
![](images/modell_erkrankung_behandlung.jpeg)
Bei der Psychotherapie wird die Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT; engl. “cognitive behavior therapy”, CBT), da dieses Psychotherapie-Verfahren aus meiner Sicht aktuell die überzeugensten Belege für die Wirksamkeit und empirische Fundierung in der Bezugswissenschaft Psychologie aufweisen kann (Vergleichbar mit der Medizin und deren Bezugswissenschaften wie Physiologie, Neurobiologie, Pharmakologie etc.).
In der aktuellen Version der Nationalen Versorgungsleitlinien Depression wird keine spezifische Empfehlung für eines der drei in Deutschland für die Krankenbehandlung zugelassenen Psychotherapie-Verfahren gegeben. Vielmehr wird auf allgemeine (unspezifische) Wirkfaktoren verwiesen, die in allen Psychotherapie-Verfahren zur Geltung kommen. Die Empfehlung der Nationalen Versorgungsleitlinien Depression (2022) steht allerdings aus meiner Sicht in einem gewissen Widerspruch zur Empirie und zu den Empfehlungen von Leitlinien anderer Expertengruppen. In diesen Leitlinien wird häufiger die Kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung von Patienten mit einer depressiven Episode empfohlen (siehe z. B. Deutsche Gesellschaft für Psychologie, National Institute for Health and Care Excellence, Clinical Practice Guidelines der Americal Psychiatric Association).
5.2.1 Behandlungs-Algorithmus
In den Nationalen Versorgungsleitlinien Depression (2022) gibt es zwei Behandlungs-Algorithmen, je nachdem ob die Patienten eine leichte depressive Episode (siehe Abbildung 5.2) oder eine mittelgradig/schwere depressive Episode (siehe Abbildung 5.3) aufweisen.
![](images/ll_therapieempfehlung_leichte_depression.png)
Für Patienten mit einer erstmaligen leichten oder einer rezidivierenden leichten akuten Episode werden niedrigintensive Interventionen empfohlen. Erst bei anhaltender Symptomatik oder einer Verschlechterung ist eine Psychotherapie oder medikamentöse Behandlung indiziert.
![](images/ll_therapieempfehlung_mittelgradige_depression.png)
Für Patienten mit einer mittelgradig schweren oder schweren Depression wird nach einer Aufklärung und partizipativen Entscheidungsfindung eine Kombination von Psychotherapie und medikamentöser Therapie empfohlen. Wenn die Kombination beider Behandlungsansätze nicht möglich ist, soll entweder eine Psychotherapie oder eine medikamentöse Therapie durchgeführt werden.
Kombination Psychotherapie und Psychopharmakotherapie
Obwohl bei einer schweren depressiven Episode eine Kombination von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie sinnvoll erscheint, kann das in der klinischen Praxis häufig nicht umgesetzt werden. Selbst wenn ein Patient eine solche Behandlung wünscht, finden Patienten häufig erst nach Monaten einen Platz bei einer Psychotherapeutin/einem Psychotherapeuten. Die Wartezeiten variieren je nach Region, betragen aber oft mehr als 6 Monate. Auch bei niedergelassenen Psychiaterinnen und Psychiater gibt es längere Wartezeiten.
5.2.2 Einbezug von Angehörigen
Die Einbindung von Angehörigen ist laut Leitlinienempfehlung ein wichtiges Therapieprinzip bei der Behandlung von Patienten mit depressiven Störungen, da sie wichtige unterstützende Funktionen übernehmen können. Hinzu kommt, dass Angehörige auch von der Erkrankung und den Behandlungsentscheidungen betroffen sind.
Generell gilt aber, dass ein solcher Einbezug nur mit Zustimmung des Patienten möglich ist. Hinzu kommt natürlich auch die Bereitschaft der Angehörgen bei der Therapie mitzuwirken. Beides ist - aus unterschiedlichen Gründen - in der klinischen Praxis nicht immer der Fall.
Die Rolle der Angehörigen in der Psychotherapie hängt vom individuellen Kontext, den spezifischen Bedürfnissen des Patienten und vom Behandlungsplan ab. Sie können
- Informationen teilen,
- Patienten bei der Durchführung von Interventionen (z. B. Expositionsübungen) unterstützen,
- die Therapieadhärenz (z. B. durch Ermutigungen) fördern,
- helfen, zwischenmenschliche Beziehung und Kommunikation zu verbessern,
- ein besseres Verständnis für die Probleme des Patienten entwickeln und
- zu einer besseren Selbstfürsorge angeleitet werden.
Speziell bei Kindern und Jugendlichen kann durch den Einbezug von Angehörigen eine bessere Sicht auf die familiäre Dynamik vermittelt und Wege zur Verbesserung der Kommunikation und Beziehung gesucht werden.
Angehörige sind auch für die häusliche Implementierung von Interventionen (z. B. Token-Programm) und die Ermutigung zu positiven Veränderungen und der Anerkennung von Fortschritten des Kindes/Jugendlichen von Bedeutung. Auch bei der Kommunikation und Zusammenarbeit mit der Schule, dem Kindergarten und ggfs. dem Jugendamt spielen sie eine Rolle.
Für Angehörige von Patienten mit psychischen Störungen gibt es eine ganze Reihe von Ratgebern, von denen einige nachfolgend aufgeführt sind:
5.2.3 Psychopharmakotherapie
siehe Folien der Vorlesung
5.2.4 Psychotherapie
Psychotherapie kann vereinfacht als Behandlung von Patienten mit psychischen Störungen mit wissenschaftlich begründeten psychologischen Mitteln beschrieben werden, wobei in der Psychotherapie-Richtlinie zwischen Verfahren, Methoden und Techniken unterschieden wird (siehe § 5-7 Psychotherapie-Richtlinie).
Verfahren, Methoden und Techniken
Psychotherapieverfahren beinhalten eine umfassende Theorie der Entstehung, Aufrechterhaltung, Indikation und Behandlung von psychischen Störungen und sind bei einem breiten Spektrum unterschiedlicher psychischer Störungen anwendbar. Psychotherapiemethoden sind hingegen enger als die Psychotherapieverfahren gefasst. Sie beinhalten zwar auch eine Theorie der Entstehung, Aufrechterhaltung, Indikation und Behandlung, werden aber in der Regel bei nur einer spezifischen Störung oder Störungsgruppe eingesetzt. Eine psychotherapeutische Technik ist eine konkrete Vorgehensweise mit deren Hilfe die angestrebten Ziele im Rahmen der Anwendung von Verfahren und Methoden erreicht werden sollen. Ein Psychotherapieverfahren besteht aus unterschiedlichen Psychotherapiemethoden und -techniken.
In der Psychotherapie-Richtlinie sind aktuell folgende Psychotherapie-Verfahren und die mit ihnen verbundenen Methoden und Techniken zur Krankenbehandlung zugelassen:
- (Kognitive) Verhaltenstherapie,
- tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (= Psychodynamisches Verfahren), Analytische Psychotherapie (= Psychodynamisches Verfahren) und
- Systemische Therapie.
Unterscheidung Psychotherapie vs andere psychologische Tätigkeiten
“Psychotherapie ist keine Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und gehört nicht zur vertragsärztlichen Versorgung, wenn sie nicht dazu dient, eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dies gilt ebenso für Maßnahmen, die ausschließlich zur beruflichen Anpassung oder zur Berufsförderung bestimmt sind, für Erziehungsberatung, Paar- und Familienberatung, Sexualberatung, körperbezogene Therapieverfahren, darstellende Gestaltungstherapie sowie heilpädagogische oder ähnliche Maßnahmen.” (§ 1 Abs. 5 Psychotherapie-Richtlinie)
5.2.4.1 Kognitive Verhaltenstherapie bei Erwachsenen
Die KVT ist eine wirksame psychotherapeutische Methode zur Behandlung von Depressionen (Cuijpers et al., 2023). Das Behandlungsmodell der KVT orientiert sich an den in Kapitel 4 beschriebenen psychologischen Störungsmodellen.
In der Verstärker-Verlust-Theorie, der Theorie der gelernten Hilflosigkeit und der kognitive Theorie werden zusammengenommen folgende Faktoren für die Entstehung und Aufrechthaltung einer depressiven Symptomatik verantwortlich gemacht:
- Verlust von positiven Verstärkern im Leben einer Person,
- Einschätzung keine Kontrolle über unangenehme oder aversive Ereignisse zu haben,
- internalisierte, globale und stabile Attributionen für negative Ereignisse
- negative Denkmuster und fehlerhafte Kognitionen (kognitive Triade)
Zusätzlich wird auch noch davon ausgegangen, dass bei der Entstehung und Aufrechterhaltung eine Reihe von Vulnerabilitätsfaktoren eine Rolle spielen. Beispielsweise könnten eine erhöhte Ängstlichkeit und Stressreaktivität sowie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Introversion) in Verbindung mit genetischen Faktoren (z. B. Basenaustauschpolymorphismen und damit verbunden ggfs. funktionelle Auswirkungen auf bestimmte biochemische Prozesse im Gehirn) eine prädisponierende Rolle spielen.
Wenn dann auf diesen “Nährboden” kritische Lebensereignisse (z. B. Trennung der Eltern, Verlust des Arbeitsplatzes, traumatische Ereignisse, chronische Krankheiten) und dysfunktionale Lernerfahrungen (z. B. Invalidierungen, soziale Ausgrenzung, mangelnde emotionale Unterstützung, Konditionierung von Ängsten, unrealistische Erwartungen und unangemessene Kritik) treffen, erhöht sich das Risiko für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer psychischen Störung, insb. einer depressiven Störung (siehe Diathese-Stress-Modell).
Störungsspezifität
Die KVT unterscheidet sich von den anderen Psychotherapieverfahren u.a. durch ihre Störungsspezifität und die Strukturierung der Interventionen. Interventionen werden anhand empirisch fundierter ätiologischer Modelle abgeleitet und begründet. Daher gibt es spezifische Interventionen (Methoden, Techniken) für die Behandlung von Angststörungen, Depressionen, posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und anderen psychischen Störungen. Zum Beispiel wird ein Aktivitätsaufbau bei Patienten mit einer depressiven Episode deshalb empfohlen, weil dadurch der im Ätiologie-Modell postulierte Verstärkerverlust verringert werden kann.
Allgemein beinhaltet eine KVT bei Patienten mit einer Depression folgende Elemente:
- Einführung und Psychoedukation
- Erklärung des KVT-Ansatzes und der Arbeitsweise.
- Psychoedukation über Depression, ihre Symptome und den Zusammenhang zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten.
- Diagnostische Phase
- Erhebung einer ausführlichen Anamnese, um spezifische depressive Symptome und ihre Auswirkungen zu verstehen.
- Identifikation von negativen Denkmustern und automatischen Gedanken.
- Zielsetzung
- Gemeinsame Festlegung von kurz- und langfristigen Therapiezielen.
- Klärung der individuellen Erwartungen des Patienten an die Therapie.
- Erarbeitung des kognitiven Modells
- Vermittlung des Zusammenhangs zwischen Gedanken, Gefühlen und Verhalten anhand von Situationsanalysen.
- Entwicklung eines kognitiven Modells, um dysfunktionale Denkmuster zu verstehen.
- Identifikation und Bewertung von Gedanken
- Erfassung und Dokumentation von automatischen Gedanken in bestimmten Situationen (Situationsanalysen).
- Bewertung der Richtigkeit und Realitätsnähe dieser Gedanken.
- Kognitive Umstrukturierung
- Herausforderung und Veränderung negativer Denkmuster.
- Erarbeitung von realistischeren und positiveren Gedanken.
- Einsatz von Techniken wie dem “Socratischer Dialog” zur Anregung kritischen Denkens.
- Verhaltensaktivierung
- Entwicklung von Aktivitätsplänen zur Förderung von positiven Verhaltensweisen.
- Schrittweise Steigerung von angenehmen und sinnvollen Aktivitäten.
- Entwicklung von Bewältigungsstrategien
- Erlernen von effektiven Bewältigungsstrategien für stressige Situationen.
- Förderung von problemorientiertem Denken und Handeln.
- Rückfallprävention
- Entwicklung von Strategien zur Verhinderung von Rückfällen.
- Erarbeitung von Bewältigungsplänen für zukünftige Herausforderungen.
- Abschluss und Evaluation
- Überprüfung der Fortschritte in Bezug auf die Therapieziele.
- Bewertung der erworbenen Fähigkeiten und deren Anwendbarkeit im Alltag.
- Besprechung von Strategien für die langfristige Aufrechterhaltung des Wohlbefindens.
Die Struktur der KVT ist aber flexibel. Sie orientiert sich am erarbeiteten Störungs- und Behandlungsmodell und den individuellen Bedürfnissen des Patienten.
Es gibt verschiedene Therapiemanuale für die Behandlung von Patienten mit einer depressiven Episode. Die Manuale dienen als Referenz für Therapeuten und bieten konkrete Empfehlungen für die Durchführung der Behandlung. Es werden auch spezifische therapeutische Techniken und Strategien vorgestellt und in die Chronologie der Behandlung eingeordnet.
![](images/cover_manual_depression_hautzinger.png)
![](images/cover_manual_depression_kiju_abel.png)
Beispielhaft soll anhand des Therapiemanual von Hautzinger (2021) ein solches manualisiertes Vorgehen vorgestellt werden. Hautzinger (2021) unterscheidet verschiedene Module, deren Inhalte nachfolgend stichwortartig zusammengefaßt sind:
- Modul 1: Aufbau therapeutischer Beziehung, Akzeptanz, Geduld, Lebens-und Krankengeschichte, Krankheitsverlauf, prägende Bezugspersonen erfragen und Erfahrungen (emotionale, kognitive, traumatische) mit denen herausarbeiten, zentrale Probleme erkennen und benennen, Ziele herausarbeiten und konkretisieren (festhalten)
- Modul 2: Erarbeitung und Vermittlung eines Erklärungsmodells und des therapeutisch hilfreichen Rational (Modell), Struktur und Elemente der Therapie ableiten, Bezug zu den Zielen
- Modul 3: Alltagsgestaltung, Tagesstruktur, Beobachtungsaufgaben dazu, welche Art (pos., neg.) Tätigkeiten und Aktivitäten finden statt bzw. dominieren, Situations-und Verhaltens-analysen durchführen bzw. Verhaltensabläufen herausfinden, verbunden mit Auswirkung auf BefindenHerausarbeiten angenehmer, positiv erlebter Tätigkeiten und Aktivitäten, emotionale und motorische Verhaltensaktivierung (Aktivitätsaufbau, Neustrukturierung des Alltags), Verwendung von Protokollen und konkreten Planungen, Absprachen und ggf. Hilfestellungen
- Modul 4: Erkennen automatisierter (verfestigter) kognitiver Muster und dysfunktionaler Informationsverarbeitungen, Schemata und Grundüberzeugungen, Herausarbeiten des biographischen Zusammenhangs dieser Muster, Erarbeiten alternativer Sichtweisen, Wertevorstellung und kognitiver Muster, Gedankenkontrollstrategien erlernen und erproben, Training neuer Denk-und Verarbeitungsmuster, von Dezentrierung und Aufmerksamkeitslenkung, Rollenspiele und Übungen, lautes Disputieren, Protokolle führen, Alltagstests
- Modul 5: Erlernen neuer Fertigkeiten und Kompetenzen: Stressmanagement, Sozialverhalten, Selbstsicherheit, Kommunikation und Interaktion (Einbezug von Partner, Familie), Problemlösen sowie andere für die individuelle Situation benötigten Skills. Übungen, Rollenspiele, Exposition und Konfrontation, Alltagstests
- Modul 6: Vorbereitung auf Krisen, Beibehaltung des Gelernten, Notfallplanung, Auffrischungs-bzw. Stabilisierungssitzungen, Erhaltungstherapie, Rückfallverhinderung
Manualisiert bedeutet nicht, dass sich die Therapeutin bzw. der Therapeut sklavisch an das Therapiemanual halten muss. Manuale können an die individuellen Probleme der Patienten angepaßt werden. Es müssen auch nicht alle in einem Manual augeführten Interventionen durchgeführt werden.
Manual geben eine Orientierung und bieten klare und strukturierte Hinweise für die Durchführung von Therapiesitzungen. Viele Manuale basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und helfen, die Behandlung zu standardisieren. Ein weiterer Vorteil von Therapiemanualen ist, dass sie die Reproduzierbarkeit von therapeutischen Interventionen verbessern. Für die letzteren beiden Punkte wurden sie ursprünglich auch entwickelt.
5.2.4.2 Kognitive Verhaltenstherapie bei Jugendlichen
Depressive Störungen kommen bei Kindern (<12 Jahre) nicht so häufig vor und haben zwischen 2004 und 2019 auch nicht wesentlich zugenommen (Spoelma et al., 2023). Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen scheint das etwas anders zu sein. Verschiedene Studien berichten von einer Zunahme an depressiven Störungen in dieser Altersgruppe, insb. in der USA (Weinberger et al., 2017; siehe auch Miller & Campo, 2021 für eine Übersicht).
Genauso wie bei Erwachsenen gibt es für die KVT eine Reihe von empirischen Studien, die auf deren Wirksamkeit hinweisen (Oud et al., 2019; Spirito et al., 2011; Weersing et al., 2016). Bernaras et al. (2019) gibt einen Überblick über Störungstheorien der Depression und über die für das schulische Umfeld entwickelten Präventionsprogramme und die verschiedenen Arten der klinischen Behandlung. In dem Therapiemanual von Harrington (2013) wird das psychotherapeutische Vorgehen bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ausführlich dargestellt.
5.2.5 Moderatoren bei der Behandlung von Patienten mit einer Depression
Wie eingangs schon erwähnt ist der Erfolgt einer Behandlung nicht garantiert. Nicht alle Patienten profitieren von einer Psychotherapie und/oder medikamentösen Therapie. Das Ergebnis einer Behandlung hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, von denen nachfolgend einige genannt werden:
- Therapeutische Kompetenz (Erfahrung, Adhärenz)
- Frühe Symptomreduktion in der Therapie (< 3 Wochen)
- Behandlungslänge, Anzahl an Sitzungen, Frequenz, Mitarbeit
- Geschlecht, Alter (Patient, Therapeut)
- Klinische Symptomatik (Variabilität)
- Ersterkrankungsalter
- Anzahl früherer depressiver Episoden, frühere Behandlungen
- Dauer der Erkrankung (total, letzte Episode, Chronizität)
- Schweregrad der Depression
- frühe Traumata (Art, Dauer, Alter)
- Bildung, Intelligenz
- beruflicher Status, Einkommen
- Psychosoziales Funktionsniveau
- Persönlichkeit (NEO-Five, Optimismus, Selbstwirksamkeit)
- Komorbidität (somatisch, psychopathologisch)
- High risk, familiäre Belastung (“genetic make-up”)
5.3 Behandlung von Patienten mit einer Manie
Die Behandlung von Patienten mit einer Manie unterscheidet sich nicht nur in der Aktuphase der Erkrankung, sondern auch nach Abklingen dieser und damit einhergehend auch einer Verbesserung der Krankheitseinsicht.
Psychotherapie bei Patienten mit einer manischen Episode
Die Durchführung einer Psychotherapie ist in der Akutphase bei Patienten mit einer Manie aufgrund der gestörten Krankheitseinsicht nur schwer möglich und daher nicht als Alternative zur Psychopharmakotherapie und ggfs. einer stationären Unterbringung anzusehen. Psychotherapeutische Interventionen dienen nach der Akutphase bei diesen Patienten vor allem der Stabilisierung und Rückfallprophylaxe (Verhinderung von Rückfällen).
Die Behandlung einer Patientin oder eines Patienten mit Manie umfasst die nachfolgend aufgeführten Bestandteile, wobei der medikamentösen Behandlung eine wichtige Rolle zukommt:
- Medikamentöse Therapie mit regelmäßiger ärztlicher Kontrolle
- Stimmungsstabilisatoren wie Lithium werden oft zur Langzeitbehandlung eingesetzt, um manische Episoden zu verhindern.
- Antipsychotika können akute manische Symptome lindern und werden manchmal zusammen mit Stimmungsstabilisatoren verschrieben.
- Psychotherapie
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) kann in der post-akuten Phase helfen, den Patienten dabei zu unterstützen, irrationale Gedanken und Verhaltensweisen zu erkennen und zu ändern. Eine Viel wichtigere Aufgabe der Psychotherapie ist allerdings die Stabilisierung und Rückfallprophylaxe sowie die Lösung von Problemen, die in der manischen Phase entstanden sind (z. B. Kauf unnötiger und teurer Dinge). Gerade hier ist der Einbezug der Angehörigen sehr wichtig (siehe das speziell für Angehörige publizierte Handbuch von Schäfer et al., 2022).
- Psychoedukation
- Patienten und ihre Familien erhalten Informationen über die Erkrankung, ihre Symptome und den Umgang mit manischen Episoden.
- Unterstützung durch Selbsthilfegruppen
- Der Austausch mit anderen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, kann für den Patienten unterstützend sein und das Verständnis für die Erkrankung fördern .
- Krankenhausbehandlung
- In schweren Fällen, in denen das Risiko für den Patienten oder andere hoch ist, kann eine vorübergehende stationäre Behandlung erforderlich sein. Eine solche Behandlung kann in bestimmten Fällen (Fremd- oder Selbstgefährdung) auch gegen den Willen des Patienten erfolgen.
- Rückfallprävention
- Strategien zur Vermeidung von Rückfällen, wie die frühzeitige Erkennung von Warnzeichen, können in die Behandlungsplanung integriert werden.
Die individuelle Behandlungsplanung erfolgt je nach den spezifischen Bedürfnissen des Patienten und der Art (Manie vs Depression) und Schwere der Erkrankung.
Auch für die Behandlung von Patienten mit einer manischen Episode gibt es Therapiemanuale, wobei die Therapiemanuale häufig das ganze Spektrum der bipolaren Störung behandeln, d.h. es werden Therapieempfehlungen für Patienten in einem manischen oder depressiven Phase gemacht.
![](images/cover_manual_bipolar_schäfer.png)
In dem Therapiemanual von Schäfer et al. (2016) werden nach einer Einleitung und der Beschreibung der wichtigsten Aspekte des Störungs- und Behandlungsmodells bei bipolaren Störungen spezifische Interventionen vorgeschlagen.
Einleitung und Grundlagen
- Der Trialog als therapeutische Grundhaltung
- Neurobiologische Erklärungsmodelle Bipolarer Störungen
- Grundlagen und diagnostische Hilfen
- Früherkennung Bipolarer Störungen
- Medikamentöse Behandlungsstrategien und therapeutische Interventionen nach den S3‑Leitlinien
Spezifische Interventionen
- Emotionen und Impulskontrolle
- Achtsamkeit und Akzeptanz
- Ressourcen und Wohlbefinden fördern
- Wege zur Erholung und Entspannung
- Stressbewältigung und Regelung des Schlafverhaltens
- Verbesserung zwischenmenschlicher Fertigkeiten und Problemlösetrategien
- Metakognitives Training für Menschen mit Bipolaren Störungen
- Rezidivprophylaxe und Notfallmaßnahmen
- Unterstützung des sozialen Umfelds der Patienten und Einbezug der Angehörigen in die Therapie
5.3.1 Medikamentöse Behandlung von Patienten mit einer bipolaren Störung
In der S3-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Patienten mit einer bipolaren Störungwerden folgende pharmakologische Behandlungsempfehlungen gemacht [siehe auch @bschor2020]:
- Akutbehandlung bipolarer Depressionen
- Quetiapin soll in der Akutbehandlung der bipolaren Depression eingesetzt werden (Empfehlungsgrad A).
- Lurasidon erhält den Empfehlungsgrad B (das Medikament wird in Deutschland aber nicht mehr vertrieben).
- Armodafinil und Ziprasidon sollen zur Behandlung der bipolaren Depression nicht mehr eingesetzt werden.
- Akutbehandlung der Manie
- weiterhin Empfehlungsgrad B: Aripiprazol, Carbamazepin, Valproinsäure, Haloperidol, Lithium, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon und Ziprasidon (mit entsprechenden Einschränkungen)
- Asenapin erhält neu Empfehlungsgrad B
- Phasenprophylaxe
- Lithium hat unverändert als einziges Medikament zur Phasenprophylaxe den Empfehlungsgrad A.
- Lithium-Serumspiegel sollten mindestens 0,6 mmol/l betragen (Empfehlungsgrad B).
- Suizidgefährdete Patienten sollen mit Lithium behandelt werden (Empfehlungsgrad A).
- Lamotrigin zur Prophylaxe depressiver Episoden (auch wenn keine akut-antidepressive Behandlung damit erfolgt war) (klinischer Konsenspunkt)
- Quetiapin zur Phasenprophylaxe, wenn dies in der Akutphase hilfreich und verträglich war (Empfehlungsgrad B)
5.4 Behandlung von Patienten mit einer bipolaren Störung
Patienten mit einer bipolaren Störung durchlaufen extreme Stimmungsschwankungen, die als manische und depressive Episoden eingestuft werden. Die Schwere der Episoden kann variieren, und die Phasen können unterschiedlich lange dauern.
In der manischen Phase erleben die Betroffenen einen übersteigerten Energielevel, gesteigerte Aktivität, vermindertes Schlafbedürfnis und eine gesteigerte Redegewandtheit. Sie können impulsiv handeln, risikoreiche Entscheidungen treffen und ein erhöhtes Selbstwertgefühl haben. Diese Symptome können zu Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen und beruflichen Angelegenheiten führen.
Auf der anderen Seite umfasst die depressive Phase Symptome wie anhaltende Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen, Energieverlust, Konzentrationsprobleme und vermindertes Selbstwertgefühl. Betroffene können sich in dieser Phase zurückziehen, haben Schwierigkeiten, tägliche Aufgaben zu bewältigen, und zeigen möglicherweise Suizidgedanken.
In Abhängigkeit der Art der Episode erfolgt die Behandlung, wobei die in Kapitel 5.3.1 und Kapitel 5.2.4 beschriebenen Interventionen zur Anwendung kommen können.
5.5 Verständnisfragen
- Welche Empfehlungen gibt die Nationale Versorgungsleitline Depression bezüglich der Behandlung von Patienten mit einer depressiven Episode?
- Welchen Einfluss hat der Schweregrad der depressiven Episode auf die Behandlungsempfehlung?
- Was versteht man unter einem Behandlungs-Algorithmus?
- Wodurch wird eine Kombination von Psychopharma- und Psychotherapie erschwert?
- Sollten Angehörige bei der Behandlung einbezogen werden? Wenn ja, warum und mit welchem Ziel?
- Definieren Sie den Begriff “Psychotherapie”.
- Was versteht man unter einem Psychotherapieverfahren?
- Welche Psychotherapieverfahren dürfen in Deutschland zur Behandlung von gesetzlich versicherten Patienten eingesetzt werden?
- Welche psychotherapeutischen Maßnahmen dürfen nicht über die gesetzliche Krankenversicherung abgerechnet werden?
- Wie wird in der Kognitiven Verhaltenstherapie die Entstehung einer depressiven Störung erklärt?
- Nennen Sie vier zentrale Bausteine (Elemente) bei der Behandlung eines Patienten mit einer depressiven Störung.
- Wie können kognitive Umstrukturierungstechniken in der kognitiven Verhaltenstherapie dabei helfen, dysfunktionale Gedanken und Überzeugungen, die zu einer depressiven Episode beitragen, zu identifizieren und zu verändern?
- Welche Rolle spielt die Verhaltensaktivierung in der kognitiven Verhaltenstherapie, und wie kann sie dazu beitragen, die Symptome einer Depression zu lindern?
- Wie gehen Sie in der kognitiven Verhaltenstherapie mit den automatischen negativen Gedanken um, die Patienten während einer depressiven Episode häufig erleben?
- Inwiefern ist es wichtig, bei der Therapie von depressiven Patienten die sozialen und umweltbedingten Faktoren zu berücksichtigen, die zur Aufrechterhaltung der Depression beitragen?
- Welche Strategien aus der kognitiven Verhaltenstherapie können eingesetzt werden, um den Teufelskreis von negativen Gedanken und sozialem Rückzug zu durchbrechen, der oft mit Depressionen einhergeht?
- Wie wird in der kognitiven Verhaltenstherapie mit der oft geringen Selbstwirksamkeitserwartung von Patienten in depressiven Episoden umgegangen, und welche Techniken helfen dabei, das Selbstvertrauen der Patienten zu stärken?
- Welche pharmakologischen und psychotherapeutischen Ansätze sind am effektivsten, um die Symptome einer Manie zu kontrollieren und Rückfälle zu verhindern?
- Wie gehen Sie in der Behandlung von Patienten mit einer Manie mit den Herausforderungen um, die durch den häufig fehlenden Krankheitseinsicht der Patienten entstehen?
- Welche Rolle spielt die Psychoedukation für Patienten mit manischen Episoden und deren Familien?